Mittwoch, 13. November 2013

Mittwochs-Müdigkeit

Heute habe ich zum ersten Mal meine Übergangsjacke getragen. Ich wollte zuerst Winterjacke schreiben, aber für eine Winterjacke ist sie nicht dick genug und außerdem wäre eine Winterjacke bei unseren Temperaturen wirklich übertrieben. Auf dem Weg zu meinem klischeehaft gelben Schulbus war ich für meine  brandneue Übergangsjacke auch noch wirklich dankbar. Im Laufe des Tages wurde sie allerdings immer mehr zum Balast, weil ich bei 20 Grad Außentemperatur und Sonnenschein natürlich nicht mit Jacke rumlaufen wollte. Ich hab sie in meinem Spanisch-Klassenraum vergessen, bin zum Ende des vierten Blocks dann also nochmal hochgehechtet, hab meine Jacke geholt, bin zum meinem Schließfach gelaufen, hab festgestellt, dass ich immer noch nicht fähig bin, es ohne fremde Hilfe zu öffnen, hab meine Bücher auf den Boden geworfen und meine Jacke angezogen, um mehr tragen zu können. Zu Hause angekommen, hatte ich ein rotes Gesicht. Meine Jacke ist zu warm. Welch ein Tag.

3. Offenheit, obwohl man sich am liebsten in sein Schneckenhaus verziehen und nie wieder rauskommen würde
Auf manche Dinge im Leben muss man sich einfach einlassen können. Das ist mir zum ersten Mal richtig klar geworden, als ich mein Praktikum bei der Zeitung ablegte dieses Jahr im März. Alle um mich herum wussten mehr. Mehr über Journalismus, mehr übers Schreiben, mehr über das, was in der Welt (oder auch nur im Landkreis Goslar) vor sich geht und definitiv mehr vom Leben. Ich habe mich klein und hilflos gefühlt und irgendwie ziemlich untergraben. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass man sich am leichtesten irgendwo einordnen kann, wenn man seine Umgebung beobachtet und dann einfach nachmacht.
 Nachäffen war auch hier mein Schlüssel zum Erfolg. Das Anpassen wird manchmal unterschätzt und als Charakterschwäche abgetan. Als etwas typisch Teenager-haftes und Pubertäres. Aber Beobachten ist etwas ganz Entscheidendes in einer neuen Umgebung. Amerikaner ticken anders als Deutsche. Sie sind offener und haben keine Angst davor, Autoritäten mal zu widersprechen, dumme Fragen in aller Öffentlichkeit zu stellen oder sich ganz einfach nicht zu verstecken. Viele Amerikaner sind extrovertiert. Was wir als nervig oder auch aufmerksamkeitsgeil bezeichnen würden, ist hier beinah normal und niemand scheut sich davor, seine Meinung ganz offen Preis zu geben.
 Was es hier allerdings kaum gibt, ist Mainstream oder Gruppenzwang. Abgesehen von Nike und Micheal Kors, zwei Marken, denen irgendwie alle hinterherlaufen. Was ich aber meine, ist was anderes. Bestes Beispiel sind Alkohol und Drogen. In Deutschland würden Teenager, die nicht trinken und es auch nicht wirklich mögen, sagen, dass sie auf Alkohol stehen. Man möchte dazugehören. Klar gibt es Ausnahmen. Aber meistens läuft es doch so oder nicht? Hier ist die Meinung gespalten. Durch den Einfluss der Kirche sind viele Jugendliche gegen Alkohol und Drogen. Wobei die Kirche nicht immer der einzige Faktor ist. Viele sind einfach ganz im Sinne der südstaatlichen Prohibition erzogen worden und vernünftig. Es wird entweder dem Alkohol ganz klar den Rücken zugekehrt oder man ist das andere Extrem. Diejenigen in der Schule, die trinken, haben auch gleich ein halbes Dutzend an Drogen schon mal getestet und erzählen auch gerne von ihren Erfahrungen.
 Sowas wie Mobbing oder Lästereien ist hier nicht ganz so ausgeprägt wie in Deutschland. Jeder kann mehr oder weniger tragen und machen, was er will. Die Schule ist groß genug, um mit jeder denkbaren Einstellung Freunde zu finden. Beim Lunch kommt das am deutlichsten zum Vorschein: Es ist nicht so, wie man es aus den Filmen kennt. Die Theater-Leute sitzen nicht ganz klar abgegrenzt von den Cheerleadern oder den Mathlethen. Aber eine gewisse Unterscheidung gibt es schon. Der zwölfte Jahrgang bleibt unter sich, die Kapitäne der Sportteams sitzen oft beieinander, die beliebten Kids suchen sich andere ihrer Art und die Schwarzen separieren sich meistens von den Weißen. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, es ist eher so eine Sache mit dem Schwarzen Stolz. Sie fühlen sich irgendwie immer zueinander hingezogen, nennen sich gegenseitig Bruder und Schwester, auch wenn sie sich gar nicht kennen. Manchmal wünsche ich mir so einen Zusammenhalt unter den Weißen.
Besonders neue Dinge können in einer fremden Umgebung oft eine übertriebene Reaktion im Inneren hervorrufen. Es ist einfacher euphorisch oder glücklich zu werden. Kleinigkeiten können einem den Tag versüßen. Leute, die zum ersten Mal mit einem geredet haben und mit denen man sich gut verstanden hat, ein gutes Essen oder einen Film, den man im Unterricht gesehen hat, der ganz interessant war, Und vor allem ist man wegen der belanglosesten Sachen stolz auf sich selbst. Meistens ist es dann aber so, dass die Laune von nichts auf gleich umschwingen kann und das Kartenhaus bricht zusammen. Manche Dinge sind einfach so groß und einschüchternd oder widersächlich, dass man sich davor verschließen möchte. Es ist wichtig, gerade in solchen Situationen sich selbst Offenheit einzureden. An die Dinge mit Neugier statt mit Abneigung ranzugehen mag nicht immer leicht sein. Ich spiele da auf die Kirche an. Am Anfang habe ich mich manchmal sehr "gepusht'" gefühlt. Ich konnte mit Religion nicht viel anfangen, aber die Art, wie die Amerikaner damit umgehen hat mich neugierig gemacht, wenn gleich sie mich auch verwirrt hat. Irgendwann beginnt man die Eigenheiten der Kultur zu akzeptieren. Es braucht nur Zeit und ein bisschen Mut, sich fallen zu lassen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen