Dienstag, 12. November 2013

Dienstags-Gedanken

Dienstag als ersten Tag der Schulwoche zu haben, fühlt sich definitiv nicht anders an als ein ganz gewöhnlicher Montag. Gestern war keine Schule, denn der 12. November ist in Amerika ein Feiertag, nämlich Veterens Day. Da werden also alle Soldaten geehrt, besonders die ehemaligen. Es gibt kostenlose Autowäschen für Mitglieder von Familien, in denen jemand gedient hat (Was meine Freundin Kala zu einem Freudentanz veranlasste), Paraden und sogar in den Gottesdiensten ist das Thema Staat und Armee zur Sprache gekommen. Wir hatten Sonntag sowas wie einen Gastredner, der die Sicht Gottes auf den Staat erklärt hat. Frag mich nicht, worum es dabei genau ging. Manches überfordert mich hier nämlich immer noch - und zwar nicht nur sprachlich. Die Kirche ist so ein wahnsinnig komplexes Ding, das kann ich noch nicht ganz erklären.
Den Veterens Day haben die Rathels damit verbracht, das ganze Haus weihnachtlich zu dekorieren. Ganz fertig sind wir aber immer noch nicht. Beziehungsweise nicht "wir", sondern eher Melanie und ihre Mutter. Die beiden haben die Oberhand darüber, dass unser Haus jetzt schon aussieht wie aus einem Werbeprospekt geklaut. Oder eher wie Mutter es kommentiert hat: "wie im Kaufhaus". Im Gegensatz zu den kitschigen bunten und billig aussehenden Lichtern, die ich von Amerika so erwartet habe, sieht unser Haus wirklich toll aus. Zwar sehr amerikanisch in der Ausgefallenheit der Dekorationen, aber trotzdem unheimlich schön. Demnächst werde ich mal Fotos hochladen. Allerdings muss ich dazu erstmal welche aufnehmen. Darum das Wörtchen "demnächst". Es ist übrigens nicht normal, Anfang November schon den Weihnachtsbaum stehen zu haben. Eigentlich wird das alles erst nach Thanksgiving gemacht, ergo Ende November. Aber dazu dann zum gegebenen Zeitpunkt mehr.
Jetzt erstmal Teil 2 der Dinge, die ich nach 100 Tagen (heute schon 101 Tagen) in Amerika festgestellt habe.

2. Dankbarkeit
100 Tage weit weg von zu Hause haben einen komischen Effekt auf die Art, wie man seine Heimat betrachtet. Irgendwer postet ein Bild aufgenommen vor den Türen eurer alten Schule und plötzlich geschieht das Unmögliche: Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen und ich anfange, den ehemals verhassten Ort zu vermissen. Ich war eigentlich nie ein totaler Schulhasser. Aber irgendwie ist das so im Kopf drin, dass Schule doof ist. Und der Umstand, dass man dafür auch noch so verdammt früh aufstehen muss, macht es nicht gerade besser. Dabei ist Schule eigentlich gar nicht so schlimm. Könnte man auf Tests, Klassenarbeiten, Klausuren, Projekte und Hausaufgaben verzichten, wäre es vielleicht sogar ganz in Ordnung. Aber Halt, damit würde ja die Grundidee verloren gehen. Trotzdem: Man sieht seine Freunde, guckt ab und zu mal einen Film, hat Freistunden, in denen man Kaffee trinken gehen kann oder beim Dönermann mal eben in 20 Minuten 1000 Kalorien verschlingt.
Die Schule zu vermissen ist nicht gerade eine Kleinigkeit. 7000 Kilometer Abstand schenken euch einen anderen Blickwinkel. Ich habe angefangen, die Fehler einzusehen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Ich hab zu selten Danke gesagt, zu wenig Zeit mit meiner Familie verbracht und zu viel Zeit dafür mit anderen Sachen, die sich im Nachhinein als vollkommen wertlos herausstellen verglichen mit dem, was ihr aus der vielen Zeit in der Heimat hättet machen können. In meinen ersten Wochen konnte ich nicht über Mama reden ohne in Tränen auszubrechen. Das war eine Mischung aus Vermissen und Dankbarkeit. Daneben fehlen einem noch so banale Dinge wie richtig gutes Brot oder solche Sachen wie den Weg ins Badezimmer im Dunkeln zu finden ohne zu stolpern. All das hat sich mittlerweile eingependelt und ich habe Ersatz gefunden. Zumindest für genannte Banalitäten. Eine fehlende beste Freundin kann einem keiner so schnell ersetzen. Aber Amerika bietet einem mehr als genug Möglichkeiten, das Heimweh zu kompensieren. Ich habe gelernt, meine Zeit hier zu genießen und mittlerweile scheint mir eine Zukunft in den Südstaaten schon gar nicht mehr so ausgeschlossen. Was ich aber noch viel Wichtigeres gelernt habe, ist, dass es manchmal 7000 Kilometer braucht, um zu erkennen, wie gut man es doch hat und wie glücklich man sich schätzen kann. Dankbarkeit klingt abgedroschen und altbacken und viel zu sehr nach irgendwas Kirchlichem. Aber manchmal sagt die Kirche gar nicht mal so dumme Sachen. Und warum nicht einfach mal das würdigen, was einem alltäglich erscheint und man deswegen gar nicht mehr wahrnimmt?

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